Ansichten des Waldmenschen Fèro Valentini, Beobachter seiner Landschaft
Eines Tages setzte sich Ferruccio Valentini, von allen Fèro genannt, hin und brachte seine Botschaften zu Papier, weil er sie für wichtig für alle Menschen hielt. Er schrieb:
»Sie nehmen uns unsere Erde!
Große Herren von auswärts teilen uns mit, dass sie über unsere
Wälder bestimmen wollen. Aber wie kann man über den Himmel oder den
Geruch der Erde bestimmen oder ihn verkaufen wollen? Über die
Landschaften der anderen zu befehlen, ist gefühllos.
Wir sind nicht die Herren über die Reinheit der Luft und das
Glitzern des Wassers. Wieso verlangt ihr dies alles nun? Jede Ecke
unserer Erde war für unser Volk heilig. Jede einzelne leuchtende
Nadel einer Fichte, jeder mit Schutt gefüllte Hang, jeder Holzwurm
im Wald, jedes Insekt war heilig in unseren Erinnerungen und den
Erfahrungen unseres Volkes. Ihr sperrt nun unsere alten Wege, sodass
wir nicht mehr unsere Landschaft betreten dürfen.
Wir wissen, dass der Mann von auswärts niemals unser Denken
verstehen wird. Ein Teil Erde ist für ihn gleich wie jeder andere,
weil er ein Fremder ist, der zu uns kommt und von unserer Erde
respektlos alles nimmt, was ihm in den Sinn kommt. Diese Erde ist
nicht seine Schwester, sondern seine Feindin.
Ihr habt uns unsere einheimischen Bären ausgerottet, um sie durch
fremde zu ersetzen. War dies ein Werk ›weiser Leute‹? Ihr erlaubt
euch, Straßen und Erdbewegungen in geschützten Gebieten auszuführen.
Es gibt nun keine ruhigen Orte mehr in unseren Gegenden. Kein Platz,
wo man das Rauschen der Blätter im Frühling oder das Rascheln des
Flügels eines Insekts hören kann.
Aber vielleicht bin ich der Wilde, der nichts versteht.
Der ›Sesselwärmer‹ Dauerrede, um nicht selbst zu hören, beschimpft
meine Ohren. Welchen Sinn hat unser Leben, wenn ein Mensch nicht
mehr das angenehme Heulen des Auerhahns oder das nächtliche Quaken
des Frosches hören darf?
Die Fremden kommen jetzt zuerst: Verunreinigt nur weiter jene Orte,
wo ihr selbst nicht lebt. Eines nahen Tages, wenn es keine Gämsen
mehr gibt und die Saiblinge im See ausgestorben sind, werden auch
die verstecktesten Winkel des Waldes vom Gestank der vielen Leute
erfüllt sein und der Ausblick auf die Berge wird von euren Abfällen
verunstaltet sein.
Wo wird dann noch Wildnis sein? Verschwunden!
Wo werden der Adler und der Auerhahn sein? Verschwunden!
Wo gibt es dann noch Ehrfurcht vor den Revieren dieser Tiere?
Welchen Sinn hat es, dem Steinhuhn und Schneehuhn auf Wiedersehen zu
sagen, wenn man sich nicht gleichzeitig vom Weltnaturerbe
verabschiedet?
Ich wünsche mir, dass die Vertreter des Volkes jenen Personen den
Vorzug geben, die dieses Land lieben und sich dafür einsetzen: Sie
sind Beobachter unseres Landes und unserer Berge, der Hoheit unserer
Vorstellungen, unserer Bräuche und Traditionen, des Schutzes und der
Wahrung unserer Werte.
Wenn unsere und eure Erde unsere Hände spürt, wird sie nie aufhören
zu blühen und Früchte zu tragen, und wir können uns auch in Zukunft
die Hände reichen.
Ferruccio Valentini, Beobachter seiner Landschaft
Über die Zerstörung der Natur
Am 21. August 2012 nachmittags wanderte ich in die Wildnis. Es war,
als würde man mir Messerstiche versetzen. Vor mir gewahrte ich
plötzlich eine neue Straße zu den Almen und Bagger, welche mit
pneumatischen Hämmern die Felsen zertrümmerten, all die vielen
Fossilien, welche auf den Steinen abgebildet sind, zerstörend:
Ammoniten, Belemniten, Megalodon, Pecten, Natica und viele andere
für immer verloren. Wir haben dies Gebiet geschützt und sollten es
mit Respekt behandeln. Es wurde zum Naturerbe der Menschheit
erkoren. Aber ihr alle saht nichts und wolltet nichts sehen! Was
hilft eure Menschlichkeit! Ich bin verbittert, aber euch wird es zur
Strafe für immer und ewig im Bewusstsein haften bleiben.
Ich, Valentino Ferruccio, in meiner Eigenschaft als guter Kenner der
Tiere und der Pflanzen, Mensch der Berge, wende mich moralisch und
mit meinem ganzen Recht dagegen, dass in dieser Gegend eine Straße
erbaut wird. Sehr oft entscheidet im Leben nicht das Wissen, sondern
die Unkenntnis.«
»Diese Arbeiten wurden gegen meinen Willen vorgenommen und gegen den
Willen all jener, welche Respekt vor der Natur haben«
Zerstört durch den Naturschutz nicht die Natur
»Ich bin erstaunt, dass meine Behörden nicht imstande waren zu
verstehen und zu begreifen, dass unsere Erde, welche mit dem Schweiß
und der Opferbereitschaft unserer Ahnen bewahrt wurde, nun
geschändet wird.«
»Anlässlich einer Konferenz sprachen die Weisen vom Schutz der Tiere
im Park. Was hilft es von Naturpark zu sprechen oder Welterbe, wenn
die Tiere keine Rechte haben?«
»Die Wahrung der Landschaft? Verschwunden! Schutz der Tiere?
Verschwunden! Respekt vor jenen, welche diese Landschaft bewohnen?
Verschwunden!«
»Es gibt keine Wildnis mehr, höchstens als ›Wildnis‹ umzäumte
Gebiete sie haben sie ins Gefängnis gesteckt.«
»Es klingt weise, eine einzigartige Landschaft zu schützen. Sie
stellen alle Geldmittel zur Verfügung. Sie bewerben die
außerordentliche Schönheit. Jeder will das Beste für die Landschaft.
Die Politik, die Wirtschaft, die Wissenschaft. Man tut so viel
Gutes, bis alle das Gute sehen wollen. Wanderwege müssen dafür
verbreitert werden und es braucht natürlich Gaststätten, für all
jene, die das Einzigartige und Schöne sehen wollen.
Erklärungsschilder werden aufgestellt, und Beobachtungsstationen. Am
Ende ist das zu Schützende vor lauter Schutz zerstört.«
»Das größte Grauen ist mit unserer Gleichgültigkeit und Schweigen
verbunden. Ihr seid ihrer so viele, welche den Sport in den
Zeitungen verfolgen und ihr kennt alle Zuspiele und Tore der großen
Fußballer. Ihr kennt alles zwischen dem Meer und dem Rhein. Was ihr
nicht kennt, ist die Erde unter euren Füßen.«
»Die Feinde des Parks sind jene, welche ohne Kenntnis und mit
fehlendem Respekt der Landschaft gegenüber auftreten. Es sind jene,
welche die Natur nicht einmal auf Postkarten sahen.
Ein Naturpark, welcher in Symbiose und Respekt vor der Natur geführt
wird, vereint uns alle und trägt Früchte.«
Über den Wert menschlicher Strafen
»Ich bin ein Mann der Berge, der mit der Natur und in der Natur lebt
und Ehrfurcht vor ihr zeigt. Ihr habt mich ohne Respekt und
Menschenverstand bestraft, als ich mich mit den Bienen meiner Erde
beschäftigte.
Die Natur kann nicht mit euch sprechen, weil ihr deren Feinde seid!
Schreibtischwissenschaftler seid ihr!
Durch die Wälder wandernd und Felsen betrachtend, sah ich den
Abdruck von Pflanzen auf Steinen. Ich glaubte, dass sie wichtig sein
könnten, um die Entwicklung meiner Heimat und unseres Planeten zu
verstehen. Ich arbeitete unaufhaltsam im Winter mit gefrorenem Bart
und Händen und im Sommer bei Hitze an einem Ort, den ihr mit euren
stinkendem Abwässern und Müll versorgtet. Ich arbeitete Tag und
Nacht, um diese Steinplatten mit Liebe, Ehrerbietung und Sorgfalt
zuzubereiten, weil ich mich der Natur für diesen Schatz erkenntlich
zeigen wollte. Ich erkannte, dass die Erde der Jetztzeit wie der
Vergangenheit zu einem Buch wurde, welche das Werden unseres
Planeten in sich aufbewahrte.
Ihr bezeichnetet mich deswegen als Räuber und bestraftet mich! Aber
seid nicht ihr die wahren Diebe? Die Natur gab mir ein Geschenk, das
ihr nicht verdientet!«
»Die Gelehrten sind nicht jene, welche nur lesen, sondern jene,
welche arbeiten. Zu viele neiden und verhalten sich respektlos jenen
gegenüber, welche sich für die Erhaltung ihrer Heimat einsetzen.
»Es ist kein großes Unglück jenem etwas Gutes zu tun, der es nicht
benötigt. Entsetzlich aber ist, Unehrlichen gegenüber dies zu tun.«
Aber die Angst ist nicht meine Schwester, aber eure Mutter. Die
Natur gab mir ein Geschenk: sie lesen zu können. Und sie wird mich
zum Ziel führen. Ihr aber verdient davon nichts. Ich werde alles
meiner Erde und meinen Leuten vermachen!«
»Meine Verteidigung nehme ich selbst in die Hand.«
»Der Richter schaute mich an und fragte mich: ›Haben Sie Recht
studiert?‹
Meine Antwort war: ›Ich bin ein Experte für Natur und Pflanzen, und
dies berechtigt mich meine Verteidigung selbst zu übernehmen.‹«
Das hier ist nicht meine Heimat!
Meine Heimat ist dort, wo nicht ich rede
Wo die Natur es für mich tut,
die mich anschreit
mit ihren Zeichen
und Spuren der Wildnis,
die immer mehr zu Ende gehen.
Der schäbige Mann,
mitleidlos und raffgierig wie er ist,
hat die Spuren der Wildnis
mit seinen getauscht.«
Féros letzte Botschaft
»Eines Tages, wenn ihr weiser werdet und die Nymphomanen der Macht
ausgestorben sind, werden die Gämsen wieder pfeifen, die Auerhähne
balzen, die Frösche quaken und die tönenden Bäume wieder erklingen,
weil Frieden eingekehrt sein wird.«
»Schneidet mit euren Scheren dieses Blatt aus, hängt es in einen
Bilderrahmen und jedes Mal, wenn ihr es seht, werden eure Gedanken
›Danke Féro‹ sagen.«
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